Handy vs. DSLR
Ein ganz heißes Thema: Brauche ich heute noch eine DSLR (Digital Single Lens Reflex)? Ganz klar, die Kameras in halbwegs modernen Handys machen gute Bilder und wir haben uns an die Smartphone-Ästhetik gewöhnt. Dank Instagram, Snapchat und Co sind Handy-Bilder omnipräsent. Clevere Filter ersparen eine Retusche und bei Starbucks gibt es WLAN und Steckdosen. Warum soll man sich also eine DSLR oder DSLM (Digital Single Lens Mirrorless) kaufen? Eine DSLR/M hat folgende Nachteile:
- Sie ist schwer (Gehäuse und Objektiv)
- Sie ist teuer (siehe oben)
- Sie ist umständlich und kompliziert (Objektive, Speicherkarte etc.)
- Sie ist ein Extra (Handy ist eh immer dabei)
- Bilder können nicht direkt geteilt werden
Warum also eine DSLR/M?
Ich war neulich in der Wilhelma, dem zoologisch-botanischen Garten in Bad-Cannstatt, und habe dort wie so oft viele Besucher gesehen, die Fotos mit dem Handy aufgenommen haben. Statt einen Schritt näher an das Gehege zu gehen, reicht eine einfache Geste auf dem Bildschirm und der Affe füllt den gesamten Display aus. Nice! Warum schleppe ich dann meine D5300 mit dem 70-200 mit mir herum? Spontan wollte ich testen, was mein Handy (Moto G5S) leistet. Klar, mein Moto kommt nicht an aktuelle iPhones, Galaxys und Huaweis heran, weder was den Preis noch die Qualität und Anzahl der Kameras angeht.
- iPhone 11: 2-3 Hauptkameras
- Galaxy S10: 2-5 Hauptkameras
- Huawei P30: 3 Hauptkameras
- Moto G5S: 1Hauptkamera (16 MP)
Persönlich finde ich es beachtlich und erstaunlich, welche Fotoqualität der clevere Einsatz von Software (a.k.a. KI) und Hardware (Periskop-Teleobjektiv beim P30) ermöglicht. Die Software erkennt ein Gesicht, belichtet es korrekt, glättet vielleicht noch ein paar Fältchen und fertig ist das nächste Selfie. Oder es werden mehrere Aufnahmen gemacht und gestapelt. Durch die Überlagerung mehrerer Bilder entsteht ein helleres Bild und Verwackelungen werden herausgerechnet. Bildstabilisation per Software! Wenn das meine DSLR könnte… Zudem kann die Software in Kombination mit einer zusätzlichen Kamera ein Bokeh nachahmen, also das Hauptmotiv per Unschärfe vom Hintergrund trennen.
Was sind für mich nun die Gründe dafür, mir mehrere Kilo um den Hals zu hängen?
- Ein größerer Senso, also mehr Licht
- „Echte“ Zoom-Objektive
- Bildstabilisation im Objektiv
- Bokeh
Der Aufbau für mein Spontan-Vergleich war denkbar einfach: Foto mit DSLR machen, Handy zücken und hoffen, dass das Motiv noch da ist. Der Vergleich hinkt natürlich gewaltig, da mein Handy wirklich nicht zu den Top-Modellen gehört. Auch hat meine DSLR 24 statt 16 MP. Das verwendete 70-200 mm Objektiv ermöglicht eine effektive Blende von f4.2 (Crop-Faktor!). Das Objektiv des Handys liegt wahrscheinlich bei ca. f18. Obwohl ich im Normalfall RAW fotografiere, verwende ich uneditierte JPGs aus der Kamera. Aufgenommen wurde diese mit dem Profil Neutral. Die Bilder wurden alle mit f2.8 und ISO 320 aufgenommen. Die Einstellungen der Kamera-App erfolgten automatisch.
Der Löwe

Die Kamera-App (Motorola Standard) hat automatisch ein HDR aufgenommen. Die Szenerie ähnelt einem Suchbild, der mittig platzierte Löwe ist als brauner Fleck in grüner Landschaft zu erkennen.
Moto G5S, 4 mm, f2, Digitalzoom 8. Aufnahmeort: Wilhelma Stuttgart D5300, 200 mm, f2.8. Aufnahmeort: Wilhelma Stuttgart
Beide Aufnahmen sind bei Offenblende entstanden. Mich hat überrascht, dass die Metadaten des G5S das Bild als 4632*3474 Pixel bei 72 dpi ausweisen. Das DSLR Bild habe ich auf 72 dpi skaliert, bei 6000*4000 Pixel. Das Seitenverhältnis beträgt somit 4/3 bei beiden Kameras. Spontan hätte ich erwartet, dass das G5S Bild durch den 8-fachen Digitalzoom kleiner wird (579 * 434 Pixel). Es bleibt aber bei 16 MP Auflösung. Für mich hat die DSLR aber klar die Nase vorn.
Das Erdmännchen

Auch bei den Erdmännchen hat die Kamera-App automatisch ein HDR berechnet. Wieder ist das Hauptmotiv mittig platziert. Farblich hebt es sich kaum vom Hintergrund ab, was aber eher der Evolution als der Kamera geschuldet ist.
Moto G5S, 4 mm, f2. Digitalzoom 1 (sehr wahrscheinlich falsch) Aufnahmeort: Wilhelma Stuttgart D5300, 175 mm, f2,8. Aufnahmeort: Wilhelma Stuttgart
Was soll ich hierzu sagen? Die DSLR stellt das Erdmännchen wunderbar frei und der Hintergrund verläuft sanft in Unschärfe. Das Handybild leidet unter einem viel zu scharfen Hintergrund und darunter, dass das Motiv nicht freigestellt ist. Bei den Haaren des Erdmännchens hätte wahrscheinlich auch ein Top-Handy mit KI Probleme. Auch hier hat für mich die DSLR die Nase vorn.
Der Schneeleopard

Der Schneeleopard befindet sich mittig leicht nach oben versetzt. Er ist dabei sehr gut an den Untergrund angepasst. Gut zu erkennen ist der umlaufende Zaun.
Moto G5S, 3,59 mm, f2. Digitalzoom 8 Aufnahmeort: Wilhelma Stuttgart D5300, 200 mm, f2,8. Aufnahmeort: Wilhelma Stuttgart
Der auffälligste Unterschied zwischen beiden Bildern liegt darin, dass die Schärfentiefe des rechten Bildes so gering ist, dass der Zaun quasi verschwindet. Auch hier hat die DSLR die Nase vorn. In wie weit der Zaun sich ausblenden lässt hängt aber auch davon ab, wie dick er ist, wie nah ich dran bin und welche Blende das Objektiv erlaubt. Wichtig ist hier, dass f2 am Handy wesentlich schlechter ist als f2.8 an der DSLR. Das hängt mit der Sensorgröße und dem damit verbunden Crop-Faktor zusammen. Der Crop-Faktor meines G5S liegt bei ca. 9. Blende f2 entspricht also eher f18 an Vollformat. Der Digitalzoom entspricht einer Ausschnittsvergrößerung und ändert nichts am Zaun.
Also alles Mist außer DSLR?
Nein, obwohl die Vergleichsbilder eine eindeutige Sprache sprechen. Ich denke, es kommt schlicht darauf an, was man machen möchte. Eingangs habe ich gesagt, dass mein Spontan-Vergleich hinkt. Das betrifft vor allem den Digitalzoom, der zu Lasten der Auflösung geht. Meine Kamera hat 16 MP also wenig Reserven dafür übrig. Ein anderer Sensor oder eine extra Tele-Kamera (z.B. Huawei P30) schlägt sich hier bestimmt besser. Hat man ein besseres Handy oder kein Bedarf an Zoom bzw. Vergrößerung ist dieser Vorteil hinfällig. Das „Hardware-Bokeh“ einer DSLR (ja, es kommt auf das Objektiv und den Aufnahmeabstand an) ist zwangsläufig besser als das „Software-Bokeh“. Die KI wird hier aber immer besser und die sichtbaren Unterschiede werden ziemlich sicher immer kleiner und fallen nicht mehr ins Gewicht. Aber auch hier ist die Frage, ob ich überhaupt ein Bokeh benötige. Portrait? Ja. Natur? Nein. Architektur? Nein. Der Rest? Geschmacksache. Die durchgängige Schärfe eines Bildes ist für mich ein Teil dessen, was ich eingangs als Smartphone-Ästhetik bezeichnet habe. Das kann einem gefallen, muss es aber nicht. Zoom und Bokeh bei Seite bleibt noch die Sache mit dem Zaun. Das ist eine Spezialanwendung. Für mich ist das relevant. Aber ich trage ja auch gerne mehrere Kilo am Hals 😀
Moderne Handy-Kameras versuchen hier mit viel Technik und Software das nachzuahmen, was eine DSLR mit passendem Objektiv von jeher kann. Aber was die Kombination von Technik und Software leistet, das überrascht und beeindruckt mich immer wieder.
Die Stärken einer Handy-Kamera liegen für mich klar im Weitwinkelbereich, im „immer-dabei-Faktor“ und der Konnektivität. Den Pumpkin Spice Latte posten? Kein Problem. Schnell das Selfie ohne Fältchen? Läuft. Die Semperoper ablichten. Kein Problem. Schöne Bildgestaltung und Komposition? Klar. Interessante Motive ablichten? Selbstverständlich. Ob ein Smartphone als Kamera aber auf Dauer günstiger als eine DSLR ist? Gute Frage …
Trotzdem ein Tipp am Rande: Sofern möglich, einfach noch einen Schritt zum Motiv machen und auf Digitalzoom verzichten.