Blende und Brennweite
Blende und Brennweite sind für mich zwei der wichtigsten Gestaltungsmöglichkeiten in der Fotografie. Warum? Weil sie direkt darüber entscheiden, wie sich das Motiv durch gezielte Schärfe vom Hintergrund lösen lässt. Durch diese Freistellung kann ich den Blick des Betrachters so lenken, dass das Hauptmotiv gleich ersichtlich ist. Das was scharf abgebildet ist, das ist wichtig.
Die Blende
Über die Blende kann der Fotograf steuern, wieviel Licht auf dem Sensor ankommt und wie groß die Schärfentiefe sich ausdehnt. Die Schärfentiefe ist der Bereich vor bzw. hinter dem fokussierten Objekt, der so auf dem Sensor abgebildet wird, dass man ihn als hinreichend scharf beurteilt. Leider geht viel Licht (=kurze Belichtungszeit) nicht mit einer großen Schärfentiefe einher, da diese eine weit geschlossene Blende erfordert (=wenig Licht). Hier ist schon ein Punkt für Verwirrung. Kleine Blende bedeutet kleine Zahl. Die Blende am Objektiv ist weit geöffnet. Bei einer großen Blende ist die Öffnung am Objektiv weit geschlossen. Abblenden, also das schließen der Blende (=größere Zahl einstellen) erhöht die generelle Schärfe, verringert Vignettierung (Randabschattung) und erhöht die Schärfentiefe.
Die Brennweite
Die Brennweite lässt sich entweder am Objektiv einstellen oder ist fix. Im ersten Fall handelt es sich um ein Zoom-Objektiv und im zweiten Fall um eine Festbrennweite (engl. prime lens). Was macht nun die Brennweite? Was passiert, wenn ich am Rad drehe und z.B. von 70mm auf 200mm gehe?
Deutlich erkennbar ist der Effekt auf das Motiv. Es kommt näher, wird quasi vergrößert. Hier habe ich absichtlich nicht die Position der Kamera verändert, sodass der komplette Zoom-Effekt sichtbar ist. Man sieht aber deutlich, dass die Schärfentiefe bei 200mm wesentlich geringer ist als bei 70mm. Und das bei gleicher Blende. Das Heranholen eines Motivs ist – glaube ich – die hauptsächliche Verwendung bei einem Zoom-Objektiv. Fotografen bleiben stehen, drehen am Rad, machen das Foto und gehen dann weiter. Bei einer Festbrennweite muss der Fotograf sich zum Motiv hinbewegen oder entsprechend wegbewegen. Mit der Brennweite ändert sich aber auch der Bildwinkel. Je größer die Brennweite, desto kleiner der Bildwinkel. Bei 70mm an einer APS-C Kamera beträgt dieser ca. 22° und bei 200mm ca. 8°. Das Bild wird also enger, was man im Beispiel an der Anzahl der Dielen erkennen kann. Bei 70mm sind vier Dielen in der Breite vorhanden. bei 200mm nur zwei.
In einem zweiten Versuch habe ich den Bildausschnitt konstant gehalten, aber die Brennweite geändert.
Hier hatte sich jedoch ein kleiner Fehler eingeschlichen. Die Kamera hatte ich bei 200mm auf meinem kleinen Stativ montiert und die Figur stand auf dem Boden. Bei 20mm ging das nicht, weil ich die Kamera hätte extrem nach unten neigen müssen. Die Aufnahme bei 20mm habe ich also freihändig gemacht und so ausgerichtet, dass die Größe des Motivs gleich bleibt. Bei 200mm ist die Kamera durch den Einsatz des Stativs und der tiefen Position der Figur minimal nach unten geneigt, was den Hintergrund beeinflusst. Aufgefallen ist mir das beim Vergleich des Hintergrundes. Der dunkle Bereich im rechten Bild (200mm) ist auf Höhe der Haare. Bei 20mm auf Höhe des Halses.
20mm, f2.8 200mm, f2.8
Um diesen „Fehler“ zu korrigieren, habe ich die Figur in einem zweiten Versuch mehrere Tage später auf Bücher gestellt und bei 20mm und 200mm die Kamera auf mein Stativ gesetzt. Den Abstand der Kamera habe ich dann wieder entsprechend angepasst. Hier kam es zu einem weiteren Fehler, den ich aber diesmal per Software korrigiert habe. Das Motiv bei 200mm war etwas kleiner als bei 20mm. Durch Zuschneiden habe ich das behoben, was jedoch bedeutet, dass der Blickwinkel bei 200mm noch etwas enger geworden ist. Für die Demonstration des Einflusses der Brennweite auf den Blickwinkel ist das aber nicht tragisch.
Beim Vergleich der beiden Aufnahmen sieht man den immensen Einfluss der Brennweite auf den Hintergrund. 20mm entsprechen ca. 68° und es ist wesentlich mehr vom Hintergrund erkennbar. Bei 200mm (ca. 8°) ist fast nichts erkennbar. Das Fällt beim Buddha im Bild auf: Bei 20mm ist er im rechten sechstel des Bildes erkennbar. Bei 200mm ist er nicht abgebildet. Bei den Bildern zum Setup ist er jeweils erkennbar. Besonders interessant ist das Podest aus Büchern. Hier sieht man, dass sich der Blickwinkel nicht nur auf die horizontale Ebene beschränkt, sondern auch für die vertikale gilt. (Das ist eine Erkenntnis, die eigentlich trivial ist … aber manchmal muss man auch das Triviale feststellen.) Entsprechend ist mehr vom Buch zu erkennen und die Perspektive wirkt auf einen Fluchtpunkt hin ausgerichtet. Wenn man sich das Gesicht der Figur anschaut, meine ich eine Verzerrung zu erkennen. Diese ist der Grund, warum man (meist) keine Portraitaufnahmen mit einem Weitwinkelobjektiv anfertigt. Das Gesicht wirkt bei 20mm langezogen und bei 200mm gestaucht. Dieser Effekt liegt aber wohl nicht an der Brennweite selbst, sondern am Abstand zum Motiv. Je näher, desto verzerrter. Und bei 20mm muss einfach nah ran.
Die Wahl der Brennweite hat also direkten Einfluss auf den Hintergrund im Sinne davon, wieviel hiervon zu sehen ist. Das hat erstmal nichts mit Schärfentiefe zu tun. Diese ist eine Kombination aus Abstand zum Motiv, Blende und Brennweite.
Das Zusammenspiel von Blende und Brennweite
In gängigen Lehrbüchern gibt es schöne Blendenreihen, die zeigen, dass mit steigender Blende auch die Schärfentiefe steigt. Und was die Brennweite macht, das ist ja klar. Die macht Dinge nämlich groß und nah. Und beeinflusst, wieviel von Hintergrund abgebildet wird. Aber was passiert, wenn man beides kombiniert?
Der Aufbau
Mein Ziel war es, eine Blenden- und Brennweitenreihe anzufertigen, um die Wechselwirkung von beiden zu zeigen. Dazu bin ich bei strahlendem Sonnenschein in den Botanischen Garten der Universität Tübingen gefahren, habe mir ein Motiv (=Baum) herausgesucht und mein Stativ und meine Kamera aufgebaut. Für die Brennweitenreihe habe ich Platz nach hinten gebraucht, da ich die Vergrößerung des Objekts durch eine Vergrößerung des Abstands kompensieren wollte. Leider ist das Gelände nicht optimal gewesen. Aber durchgezogen habe ich es trotzdem.
Für die Blendenreihe habe ich die Werte 2.8, 5.6, 11, 18 und 22 gewählt. Dies entspricht dem Spektrum von Offenblende über Wohlfühlbereich hin zu übertrieben kleiner Blendenöffnung. Hier spielt sogar schon Beugungsunschärfe eine Rolle.

Bildreihe 1: 70mm
Beim Schärfenverlauf ist erkennbar, dass es bei f2.8 einen unscharfen Vorder- und Hintergrund gibt. Subjektiv ist der Hintergrund aber weniger unscharf als der Vordergrund. Ab f11 ist Vorder- und Hintergrund ausreichend scharf abgebildet. Ein weiteres Abblenden erhöht die Schärfe nur noch marginal. Bei der Beurteilung der Schärfe spielt Vergrößerung, Monitor, Auflösung etc. eine Rolle. Deshalb hier immer nur subjektive Angaben. Bei durchgängiger Schärfe hebt sich der Baum kaum vom Hintergrund ab. Das ist für mich das, was Smartphones liefern. Ein Bild, bei dem ich als Betrachter nicht weiß, worauf ich eigentlich schauen soll. Das Motiv wirkt irgendwie verloren. Im linken Bereich sind mit blauen Planen abgedeckte Teiche zu erkennen.
Bildreihe 2: 135mm
Die höhere Brennweite habe ich durch einen größeren Abstand zum Motiv kompensiert. Der unscharfe Bereich (Vorder- und Hintergrund) fällt bei f2.8 und f5.6 und 135mm subjektiv größer als bei 70mm aus. Ab f11 ist das Bild hinreichend und durchgängig scharf abgebildet. Besonders bei f2.8 hebt sich der Baum gut vom Vorder- und Hintergrund ab. Entsprechend wird der Blick des Betrachters gelenkt. Im Vergleich von 70mm zu 135mm fällt jedoch der Blickwinkel auf. Die abgedeckten Teile sind fast vollkommen aus dem Bild verschwunden. Hier sieht man den Effekt des engeren Blickwinkels. Hier verfälscht die Topografie des Aufnahmeortes etwas, die die Teiche sich unterhalb des Aufnahmeortes befinden, dennoch werden sie auf horizontaler Ebene nicht mehr erfasst.
Bildreihe 3: 200mm
Beim ersten Bild (f2.8) fällt der sehr geringe Schärfebereich besonders auf. Begünstigt durch die Topgrafie des Aufnahmeorts gibt es eine klare Kante, sodass nur der Baum scharf abgebildet wird. Vorder- und Hintergrund sind komplett unscharf. Subjektiv betrachtet ist erst ab f18 eine durchgängige Schärfe erreicht. Vergleicht man die Bilder mit der vorangegangenen Reihen, zeigt sich der Effekt des engen Bildwinkels sehr deutlich. Auch begünstigt durch die Topografie sind die störenden Elemente komplett verschwunden. Die Änderung der Brennweite und durch Kompensation die Vergrößerung des Abstands beeinflusst die Positionierung von Objekten im Hintergrund. Scheinbar wandert die Brücke von links (70mm) nach rechts (200mm).
Entfernung, Blende und Brennweite
Die Ausdehnung des scharf abgebildeten Bereichs ist von der Entfernung zum Objekt, der Blende und der Brennweite abhängig. Zu meinem Plan hatte es gehört, bei jeder Blendenreihe auch die Entfernung zu erfassen. Aber leider quittierte mein Lasermessgerät den Dienst bei dem starken Sonnenlicht. Sonst hätte ich meinen subjektiven Eindruck mit Seiten wie dieser überprüfen können. Hier kann man unter Berücksichtigung der genannten Faktoren die Ausdehnung der Schärfentiefe berechnen. Weil das leider nicht geht, habe ich mit Hilfe einer Tabelle von Frank Wehmeyer folgende Diagramme erstellt.
Eine senkrecht ansteigende Linie deutet an, dass die Schärfentiefe unendlich groß geworden ist. Die Diagramme zeigen, dass je kürzer die Brennweite desto schneller (= bei geringerer Entfernung) ist die Schärfentiefe bei unendlich. Die Diagramme decken sich mit meinem subjektiven Eindruck der Bilderreihen oben. Ein Extremfall sind natürlich die 200mm. Hier ist eine unendliche Tiefenschärfe erst bei 70m und f22. erreicht.
Man sieht aber auch sehr gut, dass eine hohe Brennweite ein gutes Mittel ist, um das Motiv vom Vorder- und Hintergrund zu trennen.
Lessons learned?
- Zoomen ist mehr als „Dinge groß machen“
- Eine hohe Brennweite engt den Bildwinkel ein und lässt Dinge „verschwinden“
- Brennweite ist ein Gestaltungsmittel